Der von Naturgewalten geprägte Lebensraum Graubündens steht im Zentrum von «Präparat Bergsturz». Ausgehend vom Flimser Bergsturz stellt sich die Frage, wie ein derartiges längst vergangenes Ereignis heute sichtbar und eine so plötzliche Bewegung haltbar gemacht werden können. Die Ausstellung steht im Zusammenhang mit dem gleichnamigen Nationalfondsprojekt an der Hochschule der Künste Bern und versammelt Arbeiten von 16 Kunstschaffenden.
Ein Forschungsteam mit der Wissenschaftshistorikerin Priska Gisler und den Kunstschaffenden Florian Dombois, Schirin Kretschmann und Markus Schwander hat sich der Aufgabe verschrieben, sich dem Flimser Bergsturz künstlerisch und theoretisch anzunähern. Das Instrumentarium für diese Auseinandersetzung bildet das Präparat, ein aus den Naturwissenschaften bekanntes Verfahren zur Freistellung, Herrichtung und Konservierung eines bestimmten Gegenstands. Die Besonderheit des Präparats liegt in seiner Materialität. Im Gegensatz zu einem Modell, besteht ein Präparat immer aus demselben Stoff wie das zu zeigenden Phänomen. Wie bringt man nun den Bergsturz ins Museum?
Neben den neu entstehenden Audioinstallationen und Rauminterventionen von Dombois, Kretschmann und Schwander werden ausgewählte Positionen vorwiegend zeitgenössischer Kunstschaffender gezeigt, die Strategien des Präparierens entwickeln oder dem Stürzen des Berges nachgehen, wobei die Widersprüchlichkeit, Bewegung fixieren zu wollen im Zentrum steht. Mit Roman Signers neuer Installation „Steinschlag“ wird nicht nur die Wucht fallender Steine, sondern auch die skulpturale, formende Kraft eines solchen Ereignisses nachvollzogen. Gereon Leppers Felsbrocken drehen in einem Zylinder im ewigen Zyklus von Stillstand und Losbrechen. Beide Arbeiten verweisen modellhaft auf die Mechanismen des Bergsturzes, aber nähern sich dem Präparatsbegriff durch die Verwendung realen Gesteins mit seinen akustischen, olfaktorischen und physikalischen Eigenschaften. Katja Schenker und Esther Mathis schaffen noch deutlichere Bezüge zum geologischen Präparat, um sie gleichzeitig zu unterlaufen.
Auch wenn die systematische Akribie von Mark Boyle’s Erdoberflächenpräparaten oder Dominik Zehnders negativer, auf die Fehlstelle verweisender Felsabguss an eine naturwissenschaftliche Praxis anlehnen, so bietet die Kunst überwiegend metaphorische Parallelen und nicht-sprachliche Erkenntnisse bezüglich des Materials und seiner Eigenschaften. Die Schnittstelle zwischen Kunst und Wissenschaft wird in diesem Projekt bewusst thematisiert, Wissenschaftsforscher und Geologen in die Diskussion einbezogen, da sich die beiden Bereiche immer schon durchdrungen haben. So waren im Churer Museum die naturwissenschaftliche und die Kunstsammlung lange unter demselben Dach versammelt. Darüber hinaus gelang 2009 mit „Vermessen. Strategien zur Erfassung von Raum“ bereits eine erste Ausstellung mit interdisziplinärem Ansatz, was in „Präparat Bergsturz“ nun Fortsetzung findet.
KünstlerInnen
Mathias Balzer, Boyle Family, Florian Dombois, Naoya Hatakeyama, Andreas Renatus Högger, Schirin Kretschmann, Gereon Lepper, Esther Mathis, Matthäus Merian, Katja Schenker, Markus Schwander, Roman Signer, Robert Smithson, Daniel Spoerri, Monica Studer /Christoph van den Berg, Dominik Zehnder
Katalog
Präparat Bergsturz. Band 1, herausgegeben von Katharina Ammann und Priska Gisler, mit Beiträgen von Katharina Ammann, Flavio Anselmetti, Priska Gisler, Christoph Hoffmann, Stephan Kunz, Reinhard Wendler, Bündner Kunstmuseum Chur, Hochschule der Künste Bern, Luzern/Poschiavo: Edizioni Periferia, 2012
88 Seiten, 42 Abbildungen
Vernissage: 24. August, 18 Uhr
Begrüssung: Stephan Kunz, Direktor Bündner Kunstmuseum
Einführung: Dr. Katharina Ammann, Konservatorin Bündner Kunstmuseum